Dialoge schreiben

28.01.2020 16:53 (zuletzt bearbeitet: 28.01.2020 17:13)
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Das Schreiben von Dialogen ist für die meisten Autoren schlichtweg Glücksache. Sol Stein ist der Ansicht (Bücher über das Schreiben: Sol Stein), dass nur die wenigsten Autoren gelernt haben, wie man gute Dialoge konstruiert - der größte Teil verlässt sich auf seinen Instinkt. Der Leser kann das Glück haben, dass der Autor über viel natürliche Instinkte verfügt, er kann aber auch das Pech haben, dass der ungeschickte Autor mit langweiligen Dialogen jeden Ansatz von Suspense (Wie geht gleich Suspense?) erstickt. Und das musst du beim Schreiben unbedingt vermeiden, denn du weißt ja: langweiligen Erzählern droht die Keule (Warum Geschichten eine Wandlung haben sollten).

Räumen wir zunächst mit einem sehr verbreiteten Irrtum auf: geschriebener Dialog sollte nicht so wirklichkeitsnah wie möglich sein. Die wortwörtliche Übertragung von gesprochener Sprache in geschriebenes Wort nennt man Transkript, und sie liest sich wie das Gestammel von jemandem, der sein Gehirn in der Waschstraße gelassen hat.

Wir übermitteln beim Sprechen nicht nur die Inhalte, sondern ein großer Teil unserer Äußerungen ist tatsächlich ausschließlich darauf konzentriert, unsere Beziehung zum Zuhörer zu vermitteln, den Kontakt herzustellen und zu halten. Ein noch viel größerer Teil dieser Beziehungskommunikation wird in Betonungen, Gesten und in der Körperhaltung vermittelt - die Kommunikationswissenschaftler nennen das non-verbale Kommunikation. Es ist diese bestehende Verbindung zwischen dem Sprecher und dem Zuhörer und die Notwendigkeit, ständig das Bestehen bestätigen zu müssen, die dafür sorgen, dass wir uns oft wiederholen, dass wir in unvollständigen und manchmal ohne Punkt und Komma aneinander gehängten Sätzen reden. Unser Gegenüber wiederholt bei seiner Antwort Teile des Gesagten, bestätigt Aussagen mit einem "Hm-m", bevor sie ganz heraus sind. All das, was wir im täglichen Umgang miteinander aufgrund der gesamten nicht-verbalen Handlungskulisse drumherum als völlig normal empfinden, liest sich einfach schrecklich, wenn Gestik, Mimik, Tonlage und die Hm-ms fehlen.

Sol Stein gibt uns den Ratschlag, einfach mal im Supermarkt zu lauschen, was die Menschen dort so reden. Das meiste, was wir dort hören, ist idiotisches Gelaber. Und - schließt Stein - niemand kauft einen Roman, um darin Idioten labern zu hören - das bekommt er jeden Tag gratis von Freunden, Verwandten und im Supermarkt.

Dialog ist zu wichtig, um ihn dem schreiberischen Zufall zu überlassen. Sol Stein sagt uns, warum: unsere heutige Gesellschaft ist geprägt von szenischer Darstellung in Film und Fernsehen. Das narrative Element ist heutzutage sehr stark hinter die direkte Präsentation von Handlung zurückgetreten, und Dialog ist eines der wichtigsten Elemente, um Aktion und Dynamik zu schaffen, um Spannung zu erzeugen. Dialog in der Literatur ist eine ganz spezielle Kunstform, die sorgfältig entwickelt und gepflegt sein will.

Die Dialog-Trickkiste
Verfolgen wir das treffende Beispiel von Sol Stein, um herauszufinden, wie man lebendige Dialoge schreibt. Fangen wir mit der Urform an, einem typischen Dialog, den wir mehrfach am Tag routiniert austauschen, bereinigt aller "ähs" und "hm-ms" und des freundlichen Lächelns, das die Verbindung zwischen den Gesprächspartnern herstellen soll.

Sie: "Wie geht es dir?"
Er: "Ja, wie gehts mir?! Danke, ganz gut!"
Sie: "Und deiner Familie?"
Er: "Der Familie gehts super! Alles in Ordnung."


An dieser Stelle würde spätestens die Keule deiner gelangweilten Leser mit einem hässlichen Geräusch deinen Hinterkopf treffen. Geben wir dir noch eine Chance.

Sie: "Wie geht es dir?"
Er: "Soweit alles in Ordnung, denke ich."
Sie: "Wieso? Was ist denn los?"
Er: "Ich glaube, du hast es noch nicht gehört."


Seine verhaltene Antwort in Zeile 2 signalisiert, dass etwas nicht stimmt, und spätestens in Zeile 4 ist die Neugier des Lesers geweckt - Suspense kommt auf! Ein großer Fortschritt mit nur wenigen Änderungen! Machen wir noch einen Verbesserungsversuch.

Sie: "Wie geht es dir?"
Er: "Oh, entschuldige! Ich habe dich gar nicht gesehen!"
Sie: "Ist irgend etwas nicht in Ordnung?"
Er: "Nein, nein, absolut nicht. Ich habe dich einfach nicht gesehen!"


Im wahren Leben bemühen wir uns immer nach Kräften, Fragen adäquate Antworten zu geben - und wenn es eine ausweichende ist, wie im vorletzten Beispiel. Der männliche Protagonist in diesem Beispiel dagegen antwortet gar nicht direkt auf die Frage!
Wie im vorherigen Beispiel registriert der Leser sofort, dass etwas nicht stimmt. Zusätzlich bekommt er hier einen Einblick in den Charakter des männlichen Protagonisten: er ist bereit zu lügen, um weiteren Fragen auszuweichen. Gehen wir noch einen Schritt weiter.

Sie: "Wie geht es dir? Ich sagte: wie geht es dir?"
Er: "Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden."
Sie: "Ich wollte nur wissen, wie es dir geht."
Er: "Wie verdammt noch mal glaubst du, dass es mir geht?"


Mit dem geschickten Kunstgriff des indirekten Dialogs haben wir hier unerschöpfliche Möglichkeiten erschlossen, nicht nur für Spannung zu sorgen, sondern auch das zu übermitteln, was sonst der non-verbalen Kommunikation vorbehalten ist: Information über die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten. Offensichtlich bestand in der Vergangenheit eine enge Verbindung zwischen beiden, die bei dem männlichen Protagonisten Bitterkeit hinterlassen hat.

Wir haben uns an dieser Stelle bereits weit von der Alltagskommunikation entfernt, aber ein brauchbares Instrument entwickelt, plastisch zu zeigen, was in den Menschen vorgeht, ohne langweilige Hilfskrücken wie "Seine Haltung drückte Ablehnung aus." benutzen zu müssen: den indirekten Dialog.

Mit markanter Sprechweise Charaktere unterscheiden
Sol Stein rät uns, noch einen Schritt weiter zu gehen und Dialog so charakteristisch einzufärben, dass der Leser in der Lage ist, die handelnden Personen an ihrer Sprechweise zu erkennen.* Das ist wieder einer der literarischen Tricks, um etwas zu vermitteln, das das geschriebene Wort eigentlich gar nicht übertragen kann. Wir können im täglichen Leben Personen identifizieren, auch wenn wir sie nicht sehen: an ihrer Stimmfärbung, ihrem Sprechrhythmus, an häufig gebrauchten Floskeln und nicht zuletzt natürlich auch an regional unterschiedlichen Dialekten. In unseren Dialogen müssen wir auch hier eine Kunstform entwickeln, um einen Ersatz für die tragenden Elemente zu schaffen, an denen wir im täglichen Leben Sprecher mühelos unterscheiden. Warum nehmen wir nicht die ausdrucksstärkste und naturnächste Möglichkeit - den Dialekt?

Ähnlich wie bei der Grundkonstruktion des Dialogs ist es auch hier nicht ratsam, zu naturnah zu werden, sogar wenn der Titel deiner Geschichte "Ein Bochumer in Berlin" lautet. Selbst Berliner werden es wahrscheinlich sehr mühsam finden, ihre eigene Mundart seitenlang in Dialoge gefasst zu finden, und der Rest der Welt wird deine Geschichte spätestens nach der zweiten Seite ermüdet beiseite legen.
Besser ist es, etwas subtilere Marken zu setzen. Es reicht zum Beispiel, ein paar landestypische Floskeln sparsam (!) in den Dialog einzuflechten. Lass den Berliner "icke" sagen und tausche ab und zu den Diphtong "ei" durch das typisch berlinerische "ee" wie in "Beene" aus. Der Bochumer muss nicht dauernd "dat" und "wat" sagen. Wenn er es von Zeit zu Zeit tut, ist die Person ausreichend pointiert.

Lass den Charakter der Person durchschimmern - ist sie vielleicht unsicher, oder ein geistreicher Witzbold, oder neigt sie zu Zynismus? Kannst du aus der Bildung der Person Kapital schlagen, indem du den Dialog des Akademikers mit Fremdwörtern ausstatten und einen weniger gut gebildeten Menschen vielleicht liebenswerte Grammatikfehler wie "mit die Straßenbahn" machen lassen?

Dialog kann nicht so sein wie wir tatsächlich sprechen, aber du als Autor hast ungezählte Möglichkeiten, deinem Leser zusätzliche Informationen zu übermitteln, die du sonst nur in vielen langweiligen Beschreibungen ausdrücken könnten. Dialog ist eines der grundlegendsten Mittel, um Suspense (Wie geht gleich Suspense?) zu erzeugen, er ist ein Träger für Informationen zwischen den Zeilen.


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