Spannung (Tension) erzeugen

28.01.2020 17:14 (zuletzt bearbeitet: 28.01.2020 17:21)
avatar  Sabine
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Wir erinnern uns an Sol Steins Definition (Bücher über das Schreiben: Sol Stein): der Unterschied zwischen den beiden Spannungselementen Suspense und Tension (sprich: Tennschn) liegt in der zeitlichen Dimension: Suspense (Wie geht gleich Suspense?) muss den Leser vom Anfang bis zum Ende einer Geschichte fesseln, Tension dagegen bezeichnet kurzfristige Spannungsmomente einer Geschichte, die den Blutdruck des Lesers erhöhen und ihn seine Fingernägel abkauen lassen.
Tension gleicht die kürzere Dauer durch wesentlich höhere Spannugsintensität aus, und die Grundregeln für eine effektive Wirkung dieser Spannungsmomente sind im Grunde die gleichen wie bei Suspense. Du bist beim Schreiben aufgerufen, deine sozialen Grundsätze über Bord zu werfen und unverantwortlich zu handeln: lass deine Protagonisten länger zappeln - deine Leser wollen das so.

Sol Stein erläutert das an einer Beispielepisode. In einer kleinen Gemeinde hat ein kranker Berglöwe eine Frau attackiert, die sich vor dem unberechenbaren Tier in einen Kellerraum flüchten konnte. Ein 70-jähriger Jäger - der Einzige in der Gemeinde, der ein Gewehr hat - wird zur Hilfe gerufen, um den Berglöwen zu erschießen, der immer noch ungehalten vor der Kellertür grollt. Stein erklärt, dass nahezu alle unerfahrenen Autoren den alten Mann einfach in den Keller gehen und den Berglöwen töten lassen. Die Spannung steigt nadelscharf an und fällt genauso wieder ab.

Länger leiden lassen
Der erfahrene Schreibende überlegt sich an dieser Stelle, wie er die Spitze der aufgebauten Spannungskurve in ein länger anhaltendes Plateau umwandeln kann. Er polstert die Handlung auf: ein junger Mann bietet sich an, die Waffe zu nehmen und statt des taperigen Greises die Treppe in den Keller hinab zu steigen. Halt - lass ihn nicht gehen! Lass den alten Mann entdecken, dass der Jüngere gar nicht mit dem Gewehr umgehen kann - wir wollen es dem Leser ja nicht zu einfach machen. Der alte Jäger nimmt die Waffe also wieder an sich, und weil du nun mal so ein gemeiner, erfahrener Autor bist, muss er auch noch eine Lampe mitnehmen, denn der Keller ist stockduster. Gleichzeitig zielen und leuchten ist schwierig, daher legt der alte Mann die Lampe auf die Kellerstufen. In diesem Moment der Unachtsamkeit bricht der durchgedrehte Berglöwe über die Kellertreppe aus und verschwindet.

Du siehst: du hast dem Leser mit diesen kleinen Hakenschlägen ungleich mehr Spannung für sein Geld geboten, als wenn du den alten Jäger schnörkellos hättest in den Keller gehen und den irren Berglöwen erschießen lassen. Autoren sind Unruhestifter, sagt Sol Stein, und sie lieben es, ihre Leser möglichst intensiv zu piesacken - und ihre Leser mögen das auch.


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